5/08/2011

die erste sprache der menschen waren gesten. diese sprache, die ihnen aus den händen floss, hatte nichts primitives an sich, nichts von dem, was wir heute sagen, konnte mit dem endlosen aufgebot an bewegungen, die mit den feinen knochen der finger und handgelenke möglich waren, nicht gesagt werden. die komplexen und subtilen gesten verlangten ein zartes gespür für bewegungen, das seither vollständig verloren gegangen ist. während der stummzeit kommunizierten die menschen mehr, nicht weniger. um das bloße überleben zu gewährleisten, durften die hände fast nie still halten, und so geschah es nur im schlaf (und manchmal nicht einmal dann), dass die leute nicht dieses oder jenes sagten. es wurde nicht zwischen sprachlichen gesten und lebensnotwendigen handgriffen unterschieden. die arbeit, sagen wir, ein haus zu bauen oder eine mahlzeit zuzubereiten, war ebenso gut ein ausdruck wie der, das zeichen für ich liebe dich oder ich meine  es ernst zu machen. wenn eine hand schützend vors gesicht gehalten wurde, weil jemand über ein lautes geräusch erschrak, wurde etwas gesagt, und wenn finger aufhoben, was jemand hatte fallen lassen, wurde etwas gesagt, und sogar wenn die hände ruhten, sagte das etwas. natürlich gab es missverständnisse. es konnte sein, dass ein finger gehoben worden war, um an einer nase zu kratzen, und wenn jemand zufällig genau dann augenkontakt zu seinem liebhaber aufnahm, machte der es versehentlich für die keineswegs unähnliche geste für jetzt merke ich, dass es ein fehler war, dich zu lieben hatten. solche irrtümer gingen ans herz. trotzdem, weil die menschen wussten, wie leicht sie passieren konnten, weil sie nicht mit der illusion herumliefen, sie verstünden vollkommen, was andere sagten, waren sie es gewohnt, einander zu unterbrechen und zu fragen, ob sie richtig verstanden hätten. manchmal waren missverständnisse erwünscht, da sie gelegenheit gaben zu sagen: verzeih mir, ich habe mich nur an der nase gekratzt. natürlich weiß ich, dass es immer richtig war, dich zu lieben. wegen der häufigkeit dieser irrtümer nahm die geste für das um-verzeihung-bitten eine denkbar schlichte form an. das einfache öffnen der hand bedeutete: verzeih mir.

1 Kommentar:

  1. das erinnert mich an nahe jedenew von kevin vennemann. und das ist eines meiner liebsten bücher.

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